Schlesien: Grenzland mit vielen Gesichtern.

Wir kommen nach Schlesien, einem Landstrich mit deutscher und polnischer Geschichte. Schon die ersten Eindrücke zeigen, wie vielschichtig diese Region ist: sanfte Hügel wechseln sich ab mit weiten Feldern, dazwischen tauchen kleine Dörfer auf, in denen Holzhäuser neben grauen Plattenbauten stehen.

Schlesien trägt seine Vergangenheit sichtbar auf der Haut. Jahrhunderte lang war es ein umkämpftes Gebiet – mal gehörte es zu Böhmen, mal zu Preußen, mal zu Polen. Jede Epoche hat ihre Spuren hinterlassen: Burgen und Schlösser aus dem Mittelalter, Herrenhäuser aus der Zeit der Habsburger, Bergwerksanlagen aus der Zeit der Industrialisierung.

Gleichzeitig ist Schlesien heute ein lebendiges Stück Polen: Es gibt Städte mit pulsierendem Leben und schön hergerichteten Innenstädten, aber auch mit viel Verfall und Tristesse gerade an der Peripherie. Auf den Dörfern begegnen uns Wegkreuze, Marienbilder und kleine Kapellen am Straßenrand, Zeugnisse der tiefen Religiosität der Menschen. Zwischen den Feldern sehen wir noch Spuren alter Gutshöfe, die miesten verstecken sich gut am Ende abzweigender Wege.

Es ist dieses Nebeneinander von Vergangenheit und Gegenwart, das Schlesien so besonders macht – eine Region zwischen Erinnerung und Aufbruch, in der die Geschichte nicht in Museen erzählt wird, sondern an jeder Straßenecke sichtbar bleibt.


Tschenstochau: Polens spirituelles Herz.

Mag sein, dass dieses Thema an vielen säkularen Bloglesern vorbeigeht – aber uns hat die tiefe Frömmigkeit der Polen fasziniert. Sie wirkt hier so lebendig, wie man sie in Deutschland nur noch selten erlebt. Mich persönlich erinnert sie an meine Kindheit zwischen Rhön und Vogelsberg, einer Region, die stark vom Katholizismus geprägt ist. Dort prägen barocke Kirchen mit ihren goldglänzenden Altären das Landschaftsbild – allen voran der mächtige Fuldaer Dom.

Doch die Kirche in Tschenstochau, das Paulinerkloster Jasna Góra, übertrifft alles. Es ist das nationale Heiligtum Polens und beherbergt das berühmte Bild der Schwarzen Madonna, das seit Jahrhunderten als wundertätig verehrt wird. Millionen Pilger kommen jedes Jahr hierher, besonders im August zum Fest Mariä Himmelfahrt, wenn die Straßen voller Prozessionen sind und Gläubige oft tagelang zu Fuß unterwegs waren.

Wer einmal in Tschenstochau war, der braucht – so zumindest unser Gefühl – den Vatikan nicht unbedingt zu besuchen. Nicht, weil Rom weniger bedeutend wäre, sondern weil hier etwas spürbar wird, das man im touristischen Gewimmel auf dem Petersplatz leicht vermissen mag: eine dichte, stille, von Generationen getragene Spiritualität. Natürlich gibt es auch hier Reisegruppen und Andenkenstände, doch die Atmosphäre wird getragen von Menschen, die nicht zum Schauen gekommen sind, sondern zum Beten.

Für viele Pilger ist Tschenstochau ein Ort, an dem sich Himmel und Erde berühren. Und für uns ist das auch irgendwie genauso.

Polens katholisches Herz


Unscheinbar und überwältigend – Schlesische Entdeckungen unterwegs.

Namysłów (ehemals Namslau) ist eine eher unscheinbare Kleinstadt in Niederschlesien. Das Zentrum ist klein, geprägt von einem Marktplatz mit Rathaus und einigen restaurierten Bürgerhäusern. Sehenswert ist die alte Brauerei, die bis ins Mittelalter zurückreicht – Bierbrauen hat hier eine lange Tradition. Ob die Brauerei noch in Betrieb ist, können wir nicht erkennen, aber die Gebäude wirken schon arg verfallen. Ansonsten wirkt Namysłów eher verschlafen, mit dem Charme einer Provinzstadt.

Der lange Arm des Sozialismus in Namysłów


Brzeg (ehemals Brieg) hingegen hat schon mehr zu bieten. Die Stadt liegt malerisch an der Oder und war einst Residenz der schlesischen Piasten. Das Renaissance-Schloss, auch "schlesisches Wawel" genannt, gehört zu den schönsten Anlagen der Region. Dazu kommt die Altstadt mit Marktplatz, gotischem Rathaus und mehreren Kirchen, etwa der barocken Pfarrkirche St. Nikolaus. Brzeg ist lebendiger, historisch bedeutender und wirkt im Vergleich zu Namysłów wie ein kleines kulturelles Zentrum.

Das schlesische Wawel


Legnica (ehemals Liegnitz) ist eine der größeren Städte Niederschlesiens und spielte historisch oft eine Schlüsselrolle. Hier fand 1241 die berühmte Schlacht gegen die Mongolen statt. Heute zeigt die Stadt ein spannendes Nebeneinander: Altstadt mit Renaissance- und Barockbauten, daneben Plattenbauten aus sozialistischer Zeit. Sehenswert soll das Piastenschloss sein - das wir wetterbedingt auslassen, dann die Kathedrale St. Peter und Paul, die wir (es ist Sonntag und in Polen ist sonntags gut besuchter Gottesdienst) nicht besuchen können und die gut restaurierten Bürgerhäuser am Ring. So bleibt es letztlich bei einem Spaziergang durch die Fußgängerzone und einem Besuch im Café. Legnica wirkt nicht so malerisch wie Brzeg, hat aber als Kultur- und Verwaltungszentrum Gewicht.

Legnicas Mischung aus alter und neuer Architektur


Jarów schließlich ist eine unscheinbare Kleinstadt – doch mitten darin steht eine Fachwerkkirche, die mich schlichtweg umgehauen hat. Außen eher schlicht, offenbart sie im Inneren eine Fülle von Malereien und Holzschnitzereien, die man in einem so kleinen Ort kaum erwarten würde. Es ist einer dieser Orte, die man zufällig entdeckt und die sich tief einprägen – ein stilles Kleinod mit beinahe magischer Wirkung.

Fachwerkkirche in Jarow mit äußerst interessanter Entstehungsgeschichte


Die ungeschützte Grenze.

Unsere Reise durch Polen geht zu Ende, wir rollen vorbei an Feldern, Wäldern und kleinen Dörfern in Richtung deutscher Grenze. Die Landschaft wirkt noch einmal freundlich und weit, als wolle sie uns einen sanften Abschied bereiten.

An der Grenze selbst dann keine Überraschung, denn es gibt keine Kontrollen - entgegen leerer politischer Absichtserklärungen. Wir fahren einfach durch – niemand hält uns an, niemand schaut ins Wohnmobil, lediglich zwei gelangweilte Polizisten schauen durch die verregnete Windschutzscheibe ihres Polizeiautos ins Nirgendwo. Und das, obwohl in den Medien vollmundig verkündet wird, dass Deutschland nun wieder zu einem strikten Kontrollsystem an den Außengrenzen zurückgekehrt sei. Pustekuchen.

Vielleicht ist das ja wie so oft: Die Schlagzeilen sind größer als die Wirklichkeit. Für uns jedenfalls fühlt sich dieser Grenzübertritt so unspektakulär an, dass man fast vergisst, dass hier vor wenigen Jahrzehnten Schlagbaumkontrollen und mehr oder minder lange Wartezeiten den Takt vorgaben.